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Uns ist schon klar, dass es sich hier um ein Schauspiel handelt. Aber wir erhoffen uns doch einige Einblicke in das urnatürliche Leben dieser heute noch im Gestrigen Lebenden zu erhaschen. Wir werden ausdrücklich gebeten, zu fotografieren und zu filmen. Wir haben ja schließlich bezahlt.
Es bleibt nicht lange beim distanzierten Zuschauen. Maik wird zum Wettspringen eingeladen, dann wir anderen Männer. Ein Springspiel, das die Wadenmuskulatur trainiert. Die Frauen kriegen gebastelte Kaffeekannenuntersetzer mit Loch in der Mitte über den Kopf gestülpt und sollen sich auch rhythmisch mitbewegen. Wenigstens zum Schein sind die Massai begeistert, wie geschickt wir uns anstellen, vor allem, wie ausdauernd hoch wir Deutschen hüpfen können.
Das Eis scheint gebrochen – völlig unsinnige Redewendung hier in dem heißen furztrockenen Massaidorf. Mit Maik bespreche ich, dass jetzt der richtige Moment wäre, ins Manni-Kostüm zu schlüpfen, um unwiderbringliche Fotos zu machen.
Als ich mit pinkfarbener Jogginghose, Manni-Bärtchen und gelecktem Seitenscheitel auftauche, gibt es im ersten Moment ein Auflachen, dann aber doch etwas Irritation. Es wäre schon heikel, wenn sie sich von uns veralbert vorkommen würden.
Munter beginne ich mit ein paar Massai um die Wette zu hüpfen. Noch außer Puste, scherze und palavere ich mit den Urmenschen. Mein Suaheli-Brocken wecken ihr Interesse. Zufällig habe ich gerade gestern die Körperteile gepaukt und kann nun auf Kopf, Arme, Beine, Bauch und Rücken zeigen und sagen, wie das heißt.
Im Kopf des Chefs Titika kristallisiert sich in Sekundenschnelle eine neue Geschäftsidee heraus. Er will mein Lehrer sein und mir die Wörter auf Massai beibringen. Ich soll ihm einfach ein Stück Papier bringen und natürlich für seine Dienste bezahlen.
Zunächst aber geht’s weiter nach Plan. Feuermachen ohne Streichhölzer. Schon eindrucksvoll, wie sie mit Stöckchen und Holzbrettchen Glut zaubern und ein Reißigbündel mit Mannis Blashilfe zum Auflodern bringen. Das muss ich mal zu Hause an unserm Ikea-Regal ausprobieren. Ich hole mein Tagebuch und überreiche es Titika. Der reicht es an einen Schreibgehilfen weiter. Ein bisschen haben wir das übliche Protokoll durcheinander gebracht und nun sind es die Massai, die fasziniert Blicke wechseln und sich über unsere unorthodoxe Reisegruppe wundern. Titika reißt die Sache wieder an sich und lädt uns zur Hüttenbesichtigung ein. Wir werden in Pärchen geteilt und in die zwergenhaften Rundhütten genötigt. Einmal drinnen erscheinen sie einem größer, aber trotzdem nicht wohnlich.
Wir nehmen auf einer aus Ästen geflochtenen Pritsche Platz und der uns zugeteilte Massai erzählt uns mit einem Kauderwelsch aus Englisch, Suaheli und Massai, wie das Leben in so einer Lehmhütte funktioniert. Neben ihm auf dem Herd köchelt eine Art Milchbrei. Hoffentlich kriegen wir diesen Papperschmatz nicht angeboten, denke ich. Unser Massai-Freund zeigt uns Narben auf seinem Oberarm und erklärt, das sei vom Kampf mit einem Löwen. Erst dadurch werde ein Knabe zum Manne. Ob das tatsächlich eine Löwentatze war oder nur eine verrutschte Impfnarbe, werden wir nicht erfahren. Auch nicht, ob unsere Massai-Schausteller wirklich hier wohnen, wo sie ihren Kleiderschrank haben, wo sie ihre Handys laden und ob unterm Bett nicht doch heimlich eine Mikrowelle steht.
Der nächste Akt ist der eigentliche. Wir werden an die Verkaufsstände gebeten, die rund um das Ziegengehege (wo sind eigentlich die Ziegen?) gruppiert sind. Wir sind gewillt, ein paar Sachen zu kaufen. Der uns zugeteilte Massai versucht uns zusätzlich zu motivieren, indem er uns zu verstehen gibt, dass diesen Schmuck seine Frau hergestellt habe und jenen seine Schwiegermutter gefädelt. Als es ans Bezahlen geht, raunt Maik uns zu, dass das Zeug anderswo viel billiger zu haben sei. Wir fühlen aber unsere koloniale Restschuld und haben außerdem in der knappen Stunde eine emotionale Beziehung zur Dorfgemeinschaft aufgebaut. Deshalb zahlen wir gern ein bisschen mehr. Aber nicht ohne zu feilschen.
Titika fragt mich, ob ich ihm meine Uhr verkaufe. 50 Dollar, sage ich. Er lächelt bedauernd, er habe kein Geld, könne mir aber gern was vorsingen.
Wo ist mein Tagebuch? Nicht dass es die Massai einbehalten, um aus dem Papier einen Kopfschmuck zu flechten!
Hinter einer der Lehmhütten hockt ein älterer Teenager und schreibt eifrig Wörter auf Suaheli und Massai in mein Heft. Er ist so begeistert bei der Sache, dass er gar nicht aufhören will. Seine Kollegen, die älteren, drängen ihn zur Eile. Längst ist eine weitere Touristentruppe erschienen. Die sollen Feuer angeblasen kriegen und wir haben uns immer noch nicht vom Acker gemacht. Meine Miturlauber sind schon längst draußen, aber ich stehe noch umringt von ein paar fröhlichen Massai und lasse mir erklären, was die Wörter bedeuten und wie man sie ausspricht. Begeistert zeigen sie auf jedes genannte Körperteil. Der Schreiber und sein Kumpel wollen von mir noch fotografiert werden und er notiert eine Handynummer ins Tagebuch. Ob ich ihm das Bild schicke? Die moderne Technik reicht bis in die staubige Massai-Steppe. Wir haben doch tatsächlich mitten in der ärmlichen riesige stählerne Telefon-Masten gesehen.
Nun heißt es aber Verschwinden. Wir haben den Besichtigungsrhythmus genügend aus dem Takt gebracht. Als wir fahren, winken uns die Massaikinder hinterher, während die Erwachsenen die nächsten Touristen empfangen. So ein Massai-Dorf-Arbeitskollektiv ist an einem Tag wie heute im Dauerstress.